Gustav von Seyffertitz

Seyffertitz

Haimhausen goes to Hollywood
Hommage an einen großen Sohn eines kleinen Ortes in Bayern

Gustav von Seyffertitz

Text von Reinhold Gruber

1853 heiraten Anna Gräfin von Butler Clonebough aus Haimhausen und Guido Freiherr von Seyffertitz aus Innsbruck in Haimhausen. Am 4. August 1862 wird als ihr zweiter Sohn Gustav Carl Viktor Bodo Maria von Seyffertitz geboren, im Schloß von Haimhausen.

Der Adelsspross schlägt aus der Art und geht zum Theater.

Stationen sind Wien und das berühmte Theater in Meiningen, an dem gleichzeitig Albert Bassermann engagiert ist. An zahlreichen Bühnen agiert und inszeniert er auf den Brettern, die zunächst seine Welt bedeuten.

Auch als Hauptdarsteller in Komischen Opern macht er sich einen Namen.

Gustav ist erblich vorbelastet: unter den Vorfahren mütterlicherseits ist jener Oberst Butler, den Friedrich Schiller in seinem “Wallenstein” porträtiert hat.

Unter den Vorfahren des Vaters ist der Minnesänger Oswald von Wolkenstein. Der Vater selbst verfasste Lyrik. Vielleicht sind einige Gene ererbt, die Gustav zur Bühne drängten.

In Wien wird der Impressario Heinrich Conried auf Seyffertitz aufmerksam. Er lädt ihn in die Vereinigten Staaten ein – in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Gustav verlässt 1895 das alte Europa und emigriert in die USA. Seine Karriere beginnt am Irving Place Theatre in New York.

Gustav allein in New York – keineswegs!

„Das Irving Place Theater auf der Fourteenth Street in New York City war ein wenig wie Wien. Es schient, als hätte ich mein Heimatland nie verlassen. Die Schauspieler waren alle vom Kontinent; die Gemeinschaft europäisch. Ich konnte kaum englisch, obwohl ich es versuchte. Meine Tage und Nächte verbrachte ich im Theater. Es war hart.“

Gustav spielt und führt auch Regie. Er arbeitet mit den berühmtesten Stars seiner Zeit, zum Beispiel mit Maude Adams.

Das Englisch? Schlecht, ziemlich schlecht.

Der Theaterproduzent Charles Frohmann schickt ihn nach Oxford, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Den Erfolg wird man später noch beurteilen können!

„Dann kam der Krieg. Obwohl meine Verwandten auf der anderen Seite kämpften, hatte ich keine Sympathien für Ihre Sache.“

Gustavs Förderer Charles Frohmann kommt auf einer Europareise mit der „Lusitania“ ums Leben. Ein deutsches U-Boot versenkt den Passagierdampfer, unter den 1200 Toten ist auch Charles Frohman.

Gustav entschließt sich, nach Hollywood zu gehen.

„Ich dachte, alles was ich tun müßte, wäre nach Kalifornien zu reisen und mich bei den Produzenten ankündigen, um sofort engagiert zu werden. Dies war nicht so.

Ich entdeckte, dass Erfahrung nötig war. Alle meine Bühnenjahre bedeuteten nichts. Deshalb gab mir mein Freund Douglas Fairbanks eine Rolle in seinem Film „Down to Earth“.“

Der Krieg, der Verlust von Frohman durch seine Landsleute: Gustav ändert seinen Namen. Unter dem Pseudonym Butler Clonebaugh führt er 1919 erstmals Filmregie.

„Ich wurde mir bewußt, dass ich Osterreicher war. Als ein Angebot von Lasky kam, die Regie in einem Film unter einem anderem Namen zu machen, akzeptierte ich. Ich verlor meine Identität.“

Doch nicht als Regisseur – als Schauspieler etabliert sich Gustav in Hollywood. Im August 1922 hat „Sherlock Holmes“ Premiere – mit John Barrymore als Meisterdetektiv und Gustav von Seyffertitz in der Rolle seines Gegenspielers, des verschlagenen Professors Moriarty.

John Barrymore zu einem Freund: „Da gibt es einen Film, ich möchte, dass Du ihn ansiehst. Gerade abgedreht: Sherlock Holmes. Ich habe als Moriarty einen alten Deutschen ausgegraben mit Namen Von Seyffertitz. Hatten viel Spaß. Denke, es wird Dich interessieren.“

Sherlock Holmes, 1922, die Kritik: „Der beste Moriarty von allen – Gustav!”

„Wenn wir ihn sehen, wundern wir uns, warum die Offiziellen der Vitagraph-Filmgesellschaft diesem Schauspieler erlaubten, ihre Studios zu verlassen.”

Die hagere Gestalt und die durchdringenden Augen machten den Mimen Seyffertitz zu einer horriblen Figur – für Schurken- und Horrorrollen bestens geeignet. Allein durch einen flüchtigen Blick auf Gustavs Erscheinung wusste das Publikum für gewöhnlich, dass Schlimmes bevorstand.

Die Dreharbeiten gestalten sich schwierig, denn John Barrymore ist fast immer betrunken.

Über Gustav schreibt ein Kritiker: „Moriarty wurde gespielt von einem deutschen Stummfilmstar seiner Zeit, Gustav von Seyffertitz. Er war die Parodie eines Schurken, mit Koteletten, langem Haar und Zylinderhut. Es gab keinen Zweifel daran, dass man wusste, dass er böse ist, sobald er auf der Leinwand erscheint.

Zum Ende des Films tritt ihm Barrymoore gegenüber, verkleidet als… Moriarty! Es ist eine Szene, die man nie wieder in einem Film gesehen hat.”

1926 „Sparrows“: Ort der Handlung – eine sogenannte Baby-Farm. Eltern in Schwierigkeiten geben ihre Kinder in die Obhut des Besitzers Mr. Grimes- ein großer Fehler. Mary Pickford in der Rolle der Molly ist Mutterersatz und versucht, den verzweifelten Kindern zu helfen

Es gibt in diesem Film Sümpfe, Alligatoren und, schlimmer als alle Reptilien, Gustav von Seyffertitz, – ein so realer gemeiner Schuft, wie nur je einer gelebt hat.

In „Sparrows” entfaltet Gustav als satanischer Mr. Grimes alle Facetten seiner Schauspielkunst.

Das Gefühl der Bedrohung, dass den Film durchzieht, geht zum großen Teil auf die Darstellung von Gustav von Seyffertitz als Grimes zurück. Sein Aussehen kann mit dem von Max Schreck in Nosferatu verglichen werden, aber von Seyffertitz‘ Darstellung ist nicht die eines Monsters in einem Horror-Film. Die Bedrohung, die seine Darstellung hervorruft, ist realistischer als die Bedrohung durch einen Alptraum.

Gustav und die Frauen – ein Roman in fünf Kapiteln, so oft war er verheiratet. Von den Söhnen und Töchtern, die diesen Verbindungen entspringen, ist so weit bekannt, niemand mehr am Leben. Doch in Österreich ist der Name Seyffertitz noch immer vertreten, ohne das Adelsprädikat „von“. Den Adelstitel haben unsere Nachbarn ja in den 1920ern abgeschafft – für manche ein schmerzlicher Verlust !

Gustav und die Frauen – ein sechstes Kapitel mit Greta Garbo bleibt unvollendet, obwohl ihn die „Göttliche“ sehr schätzt und ihn während der Dreharbeiten zum Film „The Mysterious Lady“ als Begleiter erwählt.

Aus den Memoiren der Garbo: „Gustav war ein charmanter und intelligenter Gesellschafter. Er kannte die europäische und amerikanische Welt des Theaters und des Films so gut wie nur wenige. Oft unterhielten wir uns stundenlang; ich nippte an einem Glas Rotwein, während er Unmengen schwarzen Kaffees trank. Er malte sich seine triumphale Rückkehr nach Europa aus und versuchte, mich dazu zu überreden, mit ihm zu kommen.

„Der Krieg im Dunkeln“ ist der deutsche Titel von „The Mysterious Lady“. In der Hauptrolle Greta Garbo als die Spionin Tanja. Sie arbeitet in Wien für den russischen Geheimdienst. Ihr Chef General Alexandrov : Gustav von Seyffertitz. Sein Rivale und Gegner ist Conrad Nagel, als österreichischer Offizier.

Während der Dreharbeiten zu „The Mysterious Lady“ wollten die Studiobosse von Metro-Goldwyn-Mayer den männlichen Hauptdarsteller als Liebhaber der Garbo sehen, der publicity wegen. In ihren Memoiren schildert uns Greta Garbo ein echtes Show-down: Gustav von Seyffertitz contra Gonrad Nagel:

„Eines Abends saß Gustav in meinem Wohnzimmer, und wir sprachen wie gewöhnlich über die Schauspielkunst und die Kunst im allgemeinen. Plötzlich kam Conrad, der meinen Hausangestellten bekannt war, ins Zimmer gestürzt und schrie: „Wir sind zum Abendessen verabredet. Was hat der Preuße hier zu suchen?”

Gustav sprang auf und schlug ihm ins Gesicht. Conrad zahlte mit gleicher Münze heim. Sie schlugen aufeinander ein, stießen die Möbel um und beschimpften sich mit allen möglichen obszönen Ausdrücken.

Ich stand schweigend daneben, fasziniert von diesem Kampf zweier Männer um meine Zuneigung.”

Schweiß und Blut fließen bei der Schlägerei, die nun folgt. Die Garbo betrachtet die Szene mitleidlos – fasziniert. Schließlich bleiben die beiden Kampfhähne erschöpft liegen. Gustav ist immerhin bereits 66 Jahre alt.

„Ihr habt versucht, einander umzubringen. Meine Philosophie ist ganz einfach. Nichts ist heiliger als das Leben, und die Liebe einer Frau ist es nicht wert, ihr sein Leben zu opfern. Ich kann nicht ohne die Schauspielerei leben, aber ich kann sehr gut ohne Mann 1eben.”

War es bei Gustav Leidenschaft oder Ritterlichkeit, die ihn in Rage brachte? Sogar ein Duell zwischen den beiden Männern drohte. Garbo konnte die Sache durch Champagner beenden. Anderntags am Set und auch sonst später wurde nie mehr über diesen Abend gesprochen.

Die Zeit des Stummfilms geht zu Ende, beschleunigt durch den „Schwarzen Freitag“ 1929: In New York bricht der Aktienmarkt fast komplett zusammen. Die triste wirtschaftliche Situation mit ihrer rapide anschwellenden Arbeitslosigkeit treibt die Menschen schon nachmittags in die Tempel der Illusion -und zum Tonfilm-

Anders als viele seiner Kollegen schafft Gustav diesen Übergang.

Nun kann man endlich das sonore Organ des Gustav von Seyffertitz als Doktor Venrees in „The Bat Whispers“. Es ist ein frühes und herausragendes Beispiel für den Einfluss, den die deutschen expressionistischen Filme der 20er Jahre auf Hollywood hatten. „The Bat (Batman)” hält eine Stadt in Atem und Gustav ist auf seiner Spur.

Der Film „Dishonored” führt Gustav erstmals mit Marlene Dietrich zusammen, in seinem dritten Film unter der Regie von Jospeh von Sternberg. „Dishonored” basiert auf der Geschichte der Spionin Mata Hari. Gustav hat nach „The Mysterious Lady” die Seiten gewechselt. Diesmal ist er Chef des österreichischen Geheimdienstes. Er liest Marlene Dietrich als Wiener Prostituierte von der Straße auf um sie als Spionin X- 27 einzusetzen.

Gustav von Seyffertitz spielt Offiziere, Schurken, Schufte, schräge Typen.

Im Tonfilm entschärft seine tiefe, warme Stimme etwas sein gruseliges Verhalten.

Außerhalb der Leinwand ist er ein freundlicher, zurückhaltender Mann, auch ein einfühlsamer Regisseur .

In einem Interview 1922 hatte Gustav über seine Wünsche und Ambitionen in den frühen Jahren auf der Bühne gesprochen: „Ich versuchte bei verschiedenen Gelegenheiten, ernste Rollen zu spielen. Aber das Publikum, welches so oft über mich gelacht hatte, konnte mich nicht ernst nehmen. Ich würde, dachten sie, weitermachen und eine Weile ,ernst‘ sein; aber dann würde ich sicherlich früher oder später etwas tun oder sagen, worüber sie in heftiges Gelächter ausbrechen würden.Nach einer Weile war ich gezwungen, meine Bestrebungen ,tragisch‘ zu sein, aufzugeben.”

In den Filmen des Gustav von Seyffertitz ist die Grenze zwischen Komik und Dramatik nicht immer klar zu ziehen – vielleicht auch nur für uns Nachgeborene. In der Komödie „Mr.’Deeds Goes to Town” mit Gary Cooper erbt der Titelheld überraschend ein beträchtliches Vermögen – an dem viele interessiert sind. Gustav von Seyffertitz spielt einen Psychiater, der ein Urteil über den Gemütszustand von Mr. Deeds abgeben soll. Die Figur ähnelt sehr Sigmund Freud – und zwar nicht nur durch den starken Akzent.

In der Paramount-Filmkomödie „Never Say Die” ist Gustav der Chemiker, der das berühmte Natur-Heilwasser von „Bad Gaswasser“ zusammenmixt. Es ist nur ein kurzer Auftritt, doch diese Szene lässt uns ahnen, warum in seinen Anfangsjahren das Publikum in ihm den Komödianten sah.

Zitat aus einer Filmografie unter der Überschrift „The True Hollywood Aristocrat -The one noble name of Hollywood”: „Gustavs Weigerung, der Tradition seiner noblen Familie zu folgen, mag von der Familie missbilligt worden sein, aber ironischerweise fand er sich häufig in Rollen wieder, die sowohl seine Familientradition ehrten, als uns auch mit der Größe seines Talents bereicherten.”

Gustav von Seyffertitz – ein Schuft und Schurke auch im wirklichen Leben?

Bei dem bereits erwähnten Interview von 1922 hatte der Gesprächspartner zunächst erwartet, dass hinter einer Maske von Freundlichkeit bald der wirkliche fiese Charakter zum Vorschein kommen würde. Aber:

„Merkwürdig genug, von Seyffertitz wirkte menschlich, seine Augen blickten freundlich und seine Stimme hatte Wärme: Ein fröhlicher Mann, von sehr angenehmem Wesen, mit Ausstrahlung. Mein Glaube an die bösen Buben im Film ist für immer verloren gegangen.”

1939 nimmt Gustav von Seyffertitz endgültig Abschied vom Film. Vier Jahre später, einen Tag nach Heiligabend, am 25.Dezember 1943 stirbt er 81-jährig in seinem Haus in Woodland Hills in Kalifornien.

„Gustav von Seyffertitz- ein Haimhauser ging nach Hollywood”

Das Grab mit seiner Urne befindet sich im Forest Lawn Memorial Park bei Los Angeles -in würdiger Nachbarschaft zu vielen Filmgrößen seiner Zeit.

Mehr über das Leben und die Filme des Gustav von Seyffertitz erfahren Sie in der 64-seitigen Broschüre. Diese ist hier erhältlich: www.ortsarchiv-haimhausen.org/publikationen/

Der Lebenslauf des Hollywood-Schauspielers Gustav von Seyffertitz

 

 

 

 

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